Am 18. Oktober lud das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) im Rahmen des Themenlabors 4.0 zum „Dialog mit (Solo-)Selbstständigen, Gründerinnen und Gründern und kleinen Unternehmen“. Seit dem ersten Entwurf zum geplanten Werkvertragsgesetz durch das Ministerium fürchten tausende Selbstständige künftig als scheinselbstständig zu gelten (der BVBC berichtete). Als Vertreter der Selbstständigen im BVBC nahm Vizepräsident Jörg Zeyßig an der Veranstaltung teil.
Ein 20-minütiger Impulsvortrag von Bundesministerin Andrea Nahles läutete das neue Format ein und sorgte im Plenum größtenteils für zustimmendes Kopfnicken. „Nahles hat endlich erkannt, dass die Gruppe der Selbstständigen total heterogen ist“, fasst BVBC-Vizepräsident Jörg Zeyßig die Kernaussage der Begrüßungsrede zusammen. Und noch wichtiger für den selbstständigen Interimsmanager: „Dem BMAS scheint nun klar zu sein, dass prekäre Arbeitsbedingungen tatsächlich nur den kleineren Teil der Selbstständigen in Deutschland betreffen.“ „Darüber muss man sprechen“, fand auch Nahles.
BMAS erkennt an: kleinster Teil der Selbstständigen schutzbedürftig
Eine Untersuchung des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) ergab, dass das Gehalt von etwa einem Viertel aller Selbstständigen unter dem Mindestlohn liegt. Dass sich das Bundesministerium deshalb Gedanken darüber macht, wie es diesen Zustand ändern kann, macht Sinn. „Die Politik darf dabei aber nicht aus dem Blick verlieren, dass drei von vier Selbstständige – teilweise deutlich – mehr als 8,50 Euro pro Stunde verdienen. Wir können kein Gesetz gebrauchen, das eine Minderheit berücksichtigt und die große Mehrheit benachteiligt“, mahnt Zeyßig in Anlehnung an das geplante Werkvertragsgesetz.
Die neuen Regelungen sollen u.a. Scheinselbstständigkeit verhindern, sie könnten jedoch auch reihenweise Solo-Selbstständige unter Generalverdacht stellen. Dieser Vorwurf wird bereits der Deutschen Rentenversicherung (DRV) gemacht, die heute mehr als doppelt so viele Auftragsverhältnisse wie noch vor zehn Jahren als nicht selbstständig beurteilt. Laut Nahles soll das nicht daran liegen, dass die DRV ihre Prüfungsaktivitäten verschärft hätte. Grund für den Anstieg sollen viel mehr „gesetzliche Neuerungen“ sein, „härter“ werde jedoch nicht geprüft, erklärte die Arbeitsministerin bei dem ersten Dialogforum mit Selbstständigen zu diesem Thema.
Die Begrüßungsrede der Ministerin machte deutlich: Das BMAS, das im November 2015 seinen ersten Referentenentwurf vorlegte, hat inzwischen eingesehen, dass Erwerbsbiographien heute nicht mehr nur geradlinig verlaufen. Wer im Moment selbstständig tätig ist, muss das nicht morgen noch sein und war es vielleicht schon gar nicht gestern. Es sei Aufgabe der Politik, erklärte Nahles, auf diese flexiblen Arbeitsmodelle eine Antwort zu finden und sie insbesondere zunächst einmal als solche anzunehmen. „Ein kleiner Fortschritt“, lobt Zeyßig diese Erkenntnis, die nach Meinung des BVBC-Vizes etwa anderthalb Jahre zu spät kommt.
Berichte aus der Praxis
Nach der Begrüßung durch Bundesministerin Nahles und einem weiteren Impulsvortrag zur „Selbstständigkeit in Deutschland“ kamen die, um die es an diesem Tag gehen sollte, selbst zu Wort. Vier Selbstständige berichteten von ihren Praxiserfahrungen, ihrer Motivation zur Selbstständigkeit und davon, wie sie teilweise mit der derzeitigen Situation zu kämpfen haben. „Von den Podiumsteilnehmern kam keiner aus prekären Arbeitsverhältnissen“, berichtet BVBC-Vertreter Zeyßig. Allgemein schien aus dieser Gruppe, die künftig gesetzlich geschützt werden soll, auch unter den übrigen Teilnehmern kaum jemand dabei zu sein. „Unter den vier Selbstständigen waren zwei ITler sowie eine Lektorin und eine Designerin. Deren Erfahrungsberichte sollten Nahles Ministerium noch einmal bestätigt haben, wie wichtig es ist, nicht alle Selbstständigen in einen Topf zu werfen“, so Zeyßig weiter. Den Interimsmanager interessierten besonders die Ausführungen der selbstständigen Designerin: „Die Allianz deutscher Designer (AGD) hat für ihre Mitglieder einen Vergütungstarifvertrag ausgearbeitet, der sich in den letzten Jahren deutlich etabliert hat. Das sollten wir uns einmal genauer anschauen, da die Erfahrungen hieraus auch für die Nutzung der Gebührentabelle* des BVBC interessant sein können."
Alterssicherung
Das Themenlabor war keine passive Informationsveranstaltung. Nach der Mittagspause verteilten sich die Teilnehmenden auf drei Workshops, um über folgende Themen zu diskutieren:
- Alterssicherung
- Arbeits- und Gesundheitsschutz, Arbeitslosenversicherung, Gründungsförderung, Qualifizierung und Weiterbildung
- Gemeinsame Interessenvertretung und gerechte Vergütung
Die Workshops unterteilten sich jeweils in weitere Untergruppen, sodass etwa sechs bis acht Teilnehmer Einzelthemen bearbeiten konnten. BVBC-Vize Zeyßig beschäftigte sich im Rahmen der Alterssicherung mit Erwerbsbiographien und Sonderregelungen. „Schnell war klar: Die Selbstständigen sperren sich nicht generell gegen das Thema. Wichtig ist für die allermeisten aber Flexibilität. Das bedeutet etwa, dass unterschiedliche Formen der Vorsorge anerkannt werden – zum Beispiel durch Immobilien oder andere Anlageformen“, merkt Zeyßig an. Allgemeiner Konsens auf Seiten der Selbstständigen war aber auch, dass ein neues Rentenmodell alle einbeziehen muss. Das hieße, anders als heute, sollten dann auch Beamte Rentenversicherungsbeiträge zahlen.
Für viele Selbstständige könnte die DRV eine sinnvolle Option der Altersvorsorge sein. In Form einer freiwilligen Versicherung bietet sie ein durchaus umfassendes Leistungspaket. Das Problem: Ihr Image. „Die DRV tut relativ wenig dafür, dass sie attraktiver wirkt. Weder versucht sie gezielt Selbstständige zu erreichen, noch unternimmt sie etwas, wenn diese austreten – da spreche ich aus eigener Erfahrung“, merkt Zeyßig an.
Selbstständigkeit Teil einer neuen Normalität
Nach der Gruppenarbeit in den Workshops wurden die jeweiligen Ergebnisse zusammengetragen und vorgestellt. Benjamin Mikfeld, Leiter der Grundsatzabteilung im BMAS, fasste abschließend zusammen: Selbstständigkeit sei Teil einer neuen Arbeitsnormalität – „keine Krankheit“. Da selbstständig Tätige in der Minderheit sind, seien Institutionen und Regelwerke jedoch vor allem auf abhängig Beschäftigte ausgerichtet. Es brauche daher neue Modelle, erkannte der frühere Juso-Vorsitzende an. Selbstständigkeit dürfe aber zu keinem Zeitpunkt der Einstieg ins Lohndumping sein.
Nachdem das BMAS im April 2015 die Diskussion mit dem Grünbuch „Arbeiten 4.0“ eingeleitet hat, soll nun Ende November das Weißbuch mit konkreten Handlungsempfehlungen folgen.
Neues Werkvertragsgesetz soll selbstständige Berater nicht betreffen
Einen Tag nach der Veranstaltung (19.10.2016) veröffentlichte der Ausschuss für Arbeit und Soziales eine Bundestags-Drucksache zum Thema. Darin heißt es (Absätze redaktionell hinzugefügt):
„Ferner wurde festgestellte, dass mit der Definition der Arbeitnehmerüberlassung in § 1 Absatz 1 Satz 2 AÜG die derzeitige Rechtslage nicht geändert werden solle, etwa bei der Beauftragung von Beratungsunternehmen. Das Gesetz ziele nicht darauf ab, die unternehmerische Tätigkeit beispielsweise von Beratungsunternehmen einzuschränken. Die Neuregelung solle dem sachgerechten Einsatz von Werk- und Dienstverträgen in den zeitgemäßen Formen des kreativen oder komplexen Projektgeschäfts nicht entgegenstehen, wie sie zum Beispiel in der Unternehmensberatungs- oder IT-Branche in Optimierungs-, Entwicklungs- und IT-Einführungsprojekten anzutreffen Vorabfassung - wird durch die lektorierte Fassung ersetzt. Drucksache 18/10064 – 14 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode seien.
Auch für solche Einsätze und für die Tätigkeit von Beratern sollen die allgemeinen Grundsätze zur Abgrenzung zwischen Dienst- und Werkleistungen auf der einen und Arbeitnehmerüberlassung auf der anderen Seite weiterhin zur Anwendung kommen. Dabei solle zum Beispiel eine für die Tätigkeit eines Beraters typische Bindung hinsichtlich des Arbeitsorts an eine Tätigkeit im Betrieb des beratenen Unternehmens allein regelmäßig keine persönliche Abhängigkeit gegenüber letzterem begründen (vgl. Bundesarbeitsgericht, 11.08.2015 - 9 AZR 98/14).
Vielmehr solle nach dem Verständnis der Ausschussmehrheit entsprechend der bisherigen Praxis eine wertende Gesamtbetrachtung vorgenommen werden, ob unter Berücksichtigung aller maßgebenden Umstände des Einzelfalls eine Eingliederung in den Betrieb des Auftraggebers erfolge. Dies habe man auch in der Gesetzesbegründung ausdrücklich aufgegriffen.“
BVBC-Vizepräsident Jörg Zeyßig zu den Ausführungen des Ausschusses: „Die Rechtslage war, bevor es zu Diskussionen um das Werkvertragsgesetz kam, schon nicht eindeutig – das zeigen die gestiegenen Fälle in den letzten Jahren, in denen die DRV selbstständig Tätigen Scheinselbstständigkeit unterstellt hat. Sie wird nun nicht wesentlich klarer, aber – und das ist wichtig – auch nicht kritischer für die vielen vor allem Solo-Selbstständigen in Deutschland.“ Hunderttausende Betroffene bangten in den letzten Monaten um ihre berufliche Zukunft. Die Politik stellt nun klar: die hochqualifizierten Experten sind nicht Ziel des neuen Arbeitsmarktgesetzes.
Die monatelangen Diskussionen und Kampagnen zeigten Erfolg. Der BVBC engagierte sich u.a. im "Forum für den Einsatz flexibler Arbeit in Deutschland" (FEFA) für Änderungen an dem geplanten Gesetzesentwurf und ist Unterstützer der "Allianz für selbständige Wissensarbeit" (ADESW) und ihrer landesweiten Kampagne gegen Regulierungen der selbstständigen Experten.
Mehr Informationen zum Thema auch unter www.experten-arbeit-stärken.de/pressemitteilung.
* Die BVBC-Gebührentabelle für selbstständige Bilanzbuchhalter können BVBC-Mitglieder jederzeit unter kontakt@bvbc.de anfordern.