27.09.2017: Hierl zu Financial Fairplay: Gestaltungskreativität kaum Grenzen gesetzt
Fußballvereine sollen nur so viel ausgeben, wie sie einnehmen – so sehen es die UEFA-Regelungen des Financial Fairplays vor. Der Mega-Transfers des brasilianischen Spielers Neymar, der für die Ablösesummer von 222 Millionen Euro vom FC Barcelona zu Paris Saint-Germain (PSG) wechselte, stellte das System zuletzt jedoch in Frage. Nur kurze Zeit später legte der Verein am letzten Tag des Transferfensters nach und lieh sich den 18-jährigen Mbappé vom AS Monaco zunächst für ein Jahr - inklusive 180 Millionen Euro teurer Kaufoption. Begleicht PSG die Ablösesumme im kommenden Jahr, wäre das nach Neymar der zweitteuerste Transfer der Geschichte. Doch wie steht es angesichts solcher Summen um das Financial Fairplay, lassen sich die Finance-Regeln der UEFA etwa austricksen? Das wollte Kenan Häberle, Referent für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit beim BVBC, vom Bilanz- und Fußballexperten Ludwig Hierl wissen.
Ludwig Hierl ist Professor für Externes Rechnungswesen an der Dualen Hochschule Baden-Württemberg und Autor des Fachbuchs „Bilanzanalyse von Fußballvereinen: Praxisorientierte Einführung in die Jahresabschlussanalyse“. Beim BVBC hält Seminare zum Thema „Bilanzierung und Jahresabschlussanalyse - Differenziert nach HGB und IFRS u.a. am Beispiel renommierter Fußballclubs“.

Kenan Häberle: Wie lässt sich die Kerndefinition des Financial Fairplays auf den Punkt bringen und welche Ziele verfolgt die UEFA damit eigentlich?
Ludwig Hierl: Vereinfacht formuliert soll das als Financial-Fairplay-Regelung bekannte UEFA-Klub-Monitoring dazu beitragen, dass Fußballklubs im Rahmen ihrer finanziellen Möglichkeiten rational wirtschaften – also im Grundsatz nicht mehr Geld ausgeben als sie einnehmen. Die Verlustübernahme durch Kapitalgeber wie Investoren und Mäzene soll auf ein tolerierbares Ausmaß begrenzt werden. Neben einem reibungslosen Ablauf und der Integrität des Wettbewerbs soll damit insbesondere auch die Glaubwürdigkeit des europäischen Klubfußballs gewahrt und langfristig geschützt werden.
Häberle: Wie hoch ist dieser „tolerierbare Verlust“ und gelten diese Regelungen für alle Fußballklubs?
Hierl: Diese Regelung, die in eine Break-Even-Vorschrift sowie sonstige Monitoring-Vorschriften unterteilt ist, ergänzt das bestehende Lizenzierungssystem nur bei den Klubs, die sich sportlich für die Teilnahme an einem UEFA-Klub-Wettbewerb qualifiziert haben – also für die Champions League oder Europa League. Zunächst gibt es eine Art Wesentlichkeitsgrenze in Höhe von 5 Millionen Euro. Die besagt, dass Klubs, deren relevante Einnahmen und Ausgaben in den beiden Jahren vor der Teilnahme an einem UEFA-Wettbewerb unter diesem Wert lagen, die Break-Even-Vorschrift nicht einhalten müssen. Darüber hinaus gilt im Grundsatz eine Verlustobergrenze in Höhe von 30 Millionen Euro für die drei Geschäftsjahre vor dem Start der UEFA-Wettbewerbe. Als Ausnahme ist etwa vorgesehen, dass ein höherer Verlust durch Überschüsse in den beiden Jahren, die dem dreijährigen Monitoring-Zeitraum vorhergehen, ausgeglichen werden kann. Seit 2015 kann von Klubs auch der Abschluss einer individuellen Break-even-Vereinbarung beantragt werden. Dies ist beispielsweise dann möglich, wenn in der Monitoring-Periode, die dem Inkrafttreten der freiwilligen Vereinbarung vorangeht, die Break-even-Vorschrift erfüllt wurde.
Häberle: Wie sieht das in der Praxis aus, wer beaufsichtigt die Einhaltung dieser Regelungen?
Hierl: Während die UEFA die Klublizenzierung an die nationalen Mitgliedsverbände vergeben hat – in Deutschland führt dies die DFL im Auftrag des DFB durch –, wurde die Überwachung des Klub-Monitorings an die zwischenzeitlich errichtete Finanzkontrollkammer für Klubs (FKKK) übertragen. Die FKKK ist dabei organisatorisch unterteilt in eine Untersuchungskammer für die Monitoring- und Ermittlungsphase des Verfahrens sowie in eine rechtsprechende Kammer für die Urteilsphase des Verfahrens.
Häberle: Besteht für die Klubs die Möglichkeit, die Regelungen „auszutricksen“ bzw. die Bilanzen aufzuhübschen?
Hierl: Nicht als Trick zu werten ist es, wenn Klubs die annehmbare Abweichung der UEFA bei ihren Finanzplanungen berücksichtigen und zwischen den einzelnen Geschäftsjahren Einnahmen und Ausgaben so steuern, dass die Fehlbeträge in einer Gesamtbetrachtung den zulässigen Monitoring-Rahmen nicht übersteigen.
Wie der Fall Neymar zeigt, sind der Gestaltungskreativität in der Praxis jedoch kaum Grenzen gesetzt, sodass das nachfolgende Beispiel lediglich exemplarisch eine weitere Option aufzeigt, die zwar bedenklich, aber rechtlich zulässig ist. Für die UEFA ist es durchaus herausfordernd, Einzahlungen von Anteilseignern und verbundenen Parteien als solche zu erkennen und die Einnahmen entsprechend zu bereinigen. Wenn beispielsweise ein katarischer Anteilseigner X an einen Klub zum Ausgleich eines drohenden Verlustes Geld für zusätzliches Sponsoring überweist, so ist dies relativ einfach nachzuvollziehen. Wenn diese Sponsoringzahlung allerdings nicht durch X erfolgt, sondern durch die Firmen A bis W des Neffen Y, zudem aufgeteilt auf zahlreiche kleinere Beträge, ist die Entdeckenswahrscheinlichkeit deutlich geringer.
Häberle: Was bedeutet der Neymar-Transfer für das Financial Fairplay? Ist die Regelung gescheitert?
Hierl: Die gewählte Transfer-Gestaltung ist nach meiner Ansicht zwar hoch bedenklich, dürfte aber juristisch kaum angreifbar sein, weil sich das Financial Fairplay bislang nur an Klubs als Lizenznehmer wendet. Weil Neymar wohl von seinem Privatkonto 222 Millionen Euro an den FC Barcelona überwiesen hat, und zur Finanzierung seiner Ablöse und wohl auch seines hohen Gehalts in den kommenden Jahren einen noch höher dotierten Beratervertrag aus Katar erhalten hat, dürfte dieser Transfer die Jahresabschlüsse von Paris Saint-Germain (PSG) in den kommenden Jahren tendenziell sogar kaum belasten. Im Gegenteil, der katarische Investor trägt die Ausgaben, PSG erhält die Einnahmen – etwa. aus den Neymar-Trikotverkäufen.
Im Regelwerk des Financial Fairplays ist eigentlich inbegriffen, dass auch jeglicher Umgehungsversuch unterbunden werden soll. Aber auch damit sind meines Erachtens nur Umgehungsversuche von Klubs und nicht von Spielern gemeint. Zumindest aber gibt es hierdurch einen Ansatzpunkt, vonseiten der UEFA bereits im vorliegenden Fall Sanktionen verhängen zu können. Wenn das derzeit ad absurdum geführte Financial-Fairplay-Regelwerk fortbestehen bzw. aufrechterhalten werden soll, ist aus meiner Sicht eine umgehende Reform zur Schließung dieser Regelungslücke erforderlich.
Häberle: Welche Reformmöglichkeiten schlagen Sie vor, um künftig zu verhindern, dass Klubs die UEFA-Regularien umgehen?
Hierl: Zunächst ist zu prüfen, ob die UEFA solche Umgehungen tatsächlich ausnahmslos verhindern könnte und auch möchte. Vorgaben wie ein Gebot, dass nur Klubs und keine sonstigen Parteien wie Spieler, Berater oder Investoren Ablösen und Gehälter bezahlen dürfen, hätten den vorliegenden Fall wohl verhindert, wären aber eventuell europarechtlich nicht zulässig gewesen. Ich bin ein Anhänger davon, im Profifußball Ablöse- und Gehaltsobergrenzen sowohl für Klubs insgesamt als auch für einzelne Spieler festzulegen – ähnlich wie in einigen amerikanischen Profisportbereichen. Auch dieser Ansatz wäre jedoch im Fall des Neymar-Transfers nur dann hilfreich gewesen, wenn einem Fußballprofi ab einem bestimmten Jahreseinkommen jegliche Nebenverdienste in Form von etwa Beraterverträgen untersagt wären.
In Anerkennung des Umstands, dass der Profifußball zu einem großen Showereignis geworden zu sein scheint und die Beteiligten unter anderem durch höhere Einschaltquoten und gestiegene Ticket- und Trikotverkäufe umso mehr verdienen, je mehr Emotionen bei Fans hervorgerufen werden, wage ich die These, dass die großen Fußballklubs von den Diskussionen um diesen Transfer insgesamt temporär sogar profitieren werden. Allerdings nur bis zu dem Punkt, den ich bewusst als einen Point-of-no-return ansehe, ab dem sich die deutschen und europäischen Fans mehrheitlich vom Fußball abwenden und anderen Sportarten oder anderen Dingen zuwenden. Wenn bis dahin der asiatische Markt allerdings ausreichend erschlossen ist, könnte das nur noch eingeschränkt relevant sein. Einige Hundert Millionen Chinesen könnten dann pro Spiel mindestens einen Euro bezahlen und die finanziellen Einbußen durch den europäischen Fanrückgang so mehr als überkompensieren.
"Obliegt primär den jeweiligen Klubführungen, verantwortlich zu agieren und für den jeweiligen Klub das bestmögliche Ergebnis zu realisieren, ohne sich in zu große Abhängigkeiten zu begeben."
Häberle: Was halten Sie davon, das Financial Fairplay auf alle Klubs auszuweiten?
Hierl: Zwar müssen die Regelungen bislang nur Klubs beachten, die sich für einen UEFA-Wettbewerb qualifizieren. Allerdings bedeutet das nicht, dass bei den bislang nicht erfassten Klubs eine finanzielle Misswirtschaft möglich wäre. In den nationalen Klublizenzierungsregelungen sind von allen Klubs finanzielle Kriterien zu erfüllen. Dies ist im Übrigen eine Vorgabe der FIFA, die somit global wirkt. Der DFB beziehungsweise die DFL etwa haben für Deutschland über die FIFA- und die UEFA-Lizenzierungsbedingungen hinausgehende, strengere Vorgaben formuliert. Allerdings würden mit einer Ausweitung die Bürokratielasten für kleinere Klubs noch weiter steigen. Wenn sich die ganz großen Klubs wie PSG dem Zugriff dieser Regelungen jedoch entziehen können, ergibt sich bei einer lediglichen Ausweitung schlichtweg kein Nutzen. Im Gegenteil, das berechtigte Unverständnis für diese Regelungen würde weiter zunehmen.
Häberle: Abschließende Frage: Ist die 50+1-Regel ein Nachteil für die Bundesliga im Vergleich zu anderen europäischen Top-Ligen?
Hierl: Ich muss zugestehen, dass ich eigentlich kein Anhänger der deutschen Sonderregelung bin, wonach ein Fußballverein über mindestens 50 Prozent der Stimmenanteile plus eine weitere Stimme in einer Gesellschafterversammlung eines ausgegliederten Profifußballklubs verfügen muss. Allerdings hat der Fall Ismaik bei 1860 München gezeigt, dass diese Regelung für einen Verein auch das letzte Hilfsmittel sein kann, sich vor einem zu dominanten Investor zu schützen. Aus meiner Sicht obliegt es primär den jeweiligen Klubführungen, verantwortlich zu agieren und für den jeweiligen Klub das bestmögliche Ergebnis zu realisieren, ohne sich in zu große Abhängigkeiten zu begeben. Ein aktuelles Beispiel für eine diesbezüglich sehr gelungene Ausgliederung ist der VfB Stuttgart. Der Verein hat 75,1 Prozent der Stimm- und Kapitalanteile behalten, obwohl mit der Daimler AG ein langjähriger und sehr zuverlässiger Partner als Investor gewonnen werden konnte. Diesem wurden jedoch lediglich 24,9 Prozent und damit noch nicht einmal ein für eine Sperrminorität ausreichender Anteilsbesitz zugestanden.