Am Dienstag (18.05.2021) stellten die Fraktionen von CDU/CSU und SPD kurzfristig einen Änderungsantrag zu dem "Entwurf eines Gesetz zur Umsetzung der Richtlinie (EU) 2019/882 des Europäischen Parlaments und des Rates über die Barrierefreiheitsanforderungen für Produkte und Dienstleistungen und zur Änderung des Jugendarbeitsschutzgesetzes" – kurz Barrierefreiheitsgesetz. Im Kern geht es in dem Antrag um Änderungen an § 7a SGB IV, der das Statusfeststellungsverfahren (SFV) regelt. Für eine Reformierung des Verfahrens setzt sich der BVBC bereits seit einigen Jahren gemeinsam mit weiteren Verbänden der Bundesarbeitsgemeinschaft Selbstständigenverbände (bagsv) ein, um sowohl für Selbstständige als auch auftraggebende Unternehmen mehr Rechtssicherheit hinsichtlich der Problematik der Scheinselbstständigkeit zu erreichen.
Union und SPD beziehen sich bei den geplanten Gesetzesänderungen auf folgende Schwerpunkte:
- Elementenfeststellung (ab S. 16)
- Dreiecksverhältnisse (S. 17 und 24)
- Prognoseentscheidung (schwerpunktmäßig ab S. 18)
- Gruppenfeststellung (ab S. 19)
- Mündliche Anhörung im Widerspruchsverfahren (schwerpunktmäßig ab S. 18 und 24)
Gesetz soll heute im Bundestag beschlossen werden
Die kurzfristige Einbringung des Gesetzes führte zu Protesten seitens aller Oppositionsparteien im Bundestagsausschuss für Arbeit und Soziales, der sich am Montag (17.05.2021) mit dem Gesetz befasst hat. Während die Regierungsparteien Gelegenheit hatten, Sachverständige zu den Änderungen zu befragen, hatten Grüne, FDP, Linke und AfD keine Möglichkeit dazu. "Auch uns und unseren Partnern, die wir uns in der Bundesarbeitsgemeinschaft Selbstständigenverbände (bagsv) zusammen getan haben, wurde so die Chance genommen, unsere Bedenken vorzutragen", kritisiert stellvertretender BVBC-Geschäftsführer Kenan Häberle. Gemeinsam richteten sich die Verbände deshalb in einem kurzfristig abgestimmten Protestbrief am Donnerstagmittag an Bundesarbeitsminister Heil, die Fraktionsvorsitzenden von CDU/CSU und SPD sowie an die Mitglieder des Bundestagsausschusses für Arbeit und Soziales.
Der Protestbrief im Wortlaut (zur PDF-Version):
Sehr geehrter Herr Bundesminister Heil,
wir stellen fest, dass ein wichtiges Anliegen für Selbstständigkeit in einer unangemessenen Form politisch behandelt wird. Es geht um den Gesetzesentwurf für einen neuen Paragraphen 7a SGB IV (Statusfeststellungsverfahren) in Verbindung mit einem Gesetz zur Umsetzung der Richtlinie (EU) 2019/882 des Europäischen Parlaments und des Rates über die Barrierefreiheitsanforderungen für Produkte und Dienstleistungen und zur Änderung des Jugendarbeitsschutzgesetzes.
Dieses hat zentrale Auswirkungen auf die formelle Feststellung des Erwerbsstatus von Selbstständigen und hiermit grundsätzlich darauf, ob und wie Selbstständigkeit in Deutschland möglich ist. Vor diesem Hintergrund gab es über die Legislatur hinweg einen kontinuierlichen Austausch zwischen den betroffenen Selbstständigengruppen mit allen Ebenen in den Fraktionen und dem Ministerium (z.B. drei Fachgespräche im BMAS).
Umso widersprüchlicher und überraschender ist nun die kurzfristige und nahezu geheime politische Abwicklung dieses Gesetzesvorhabens. Wir kritisieren folgende Punkte:
1. Die Kopplung an ein „unverdächtiges“ und damit nicht im Zusammenhang stehendes Vorhaben – Umsetzung des Barrierefreiheitsgesetzes (s.o.).
2. Keine systematische Einbindung in das Vorhaben zur Reformierung des Statusfeststellungsverfahrens (§7a SGB IV) in dieser entscheidenden Phase. Wir sind als Betroffene nicht aktiv informiert worden, sondern haben zufällig davon erfahren.
3. Selbst nach unserem kurzfristigen, konstruktiven Einbringen mit Stellungnahmen wurde uns wiederum offiziell keine Möglichkeit gegeben, zu diesem Verfahren gehört zu werden. Zu der öffentlichen Anhörung am 17. Mai 2021 waren nur DGB, DRV Bund, aber nicht betroffene Wirtschafts- und Selbstständigenverbände eingeladen. Dieses Vorgehen spottet jeglicher Qualität eines demokratischen Dialogprozesses und sendet ein bedenkliches Signal für die Beachtung der Relevanz von Selbstständigkeit in Deutschland!
Daher fordern wir eine sofortige Einbeziehung in das laufende Verfahren oder dessen unverzüglichen Abbruch!
Wir gehen von einer dem Anliegen angemessenen zeitnahen Rückmeldung aus.
Nachtrag
Der Protestbrief wurde am Mittag des 20. Mai 2021 an alle Bundestagsabgeordneten versendet. Die Oppositionsparteien reagierten darauf positiv, doch am späten Abend beschließt der Bundestag das Gesetz mit den Stimmen von Union und SPD. Grüne und FDP stimmen dagegen, Linke und AfD enthalten sich. Die Regierungsparteien verschicken am Folgetag ein Rechtfertigungsschreiben. Am 27. Mai beginnt die Bundesarbeitsgemeinschaft Selbstständigenverbände (bagsv), zu der auch der BVBC zählt, eine Gesprächsreihe mit Abgeordneten und Mitarbeitern der Ministerien. Ziel ist die schnellstmögliche Reform des Statusfeststellungsverfahrens nach der Bundestagswahl.