Vorletzten Montag (16.11.2015) ließ Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles einen ursprünglich für Mai angekündigten Gesetzesentwurf „gegen den Missbrauch von Werkverträgen“ dem Kanzleramt zukommen. Das geplante Gesetz soll zum 1. Januar 2017 in Kraft treten und könnte dafür sorgen, dass die Deutsche Rentenversicherung (DRV) künftig insbesondere Solo-Selbstständige vermehrt als scheinselbstständig beurteilt.
Der BVBC berichtete bereits im Juli auf seiner Homepage sowie in der Septemberausgabe seiner Verbandszeitschrift über den geplanten Gesetzesentwurf und mögliche Folgen für Selbstständige. Bereits heute beurteilt die DRV mehr als doppelt so viele Auftragsverhältnisse wie noch vor zehn Jahren als nicht selbstständig und stellt somit immer mehr Menschen unter den Verdacht der Scheinselbstständigkeit.
Scheinselbstständigkeit kein Problem des Billiglohnsektors
Der Vorwurf der Scheinselbstständigkeit beschränkt sich nicht auf ausgewählte Branchen. Ein faires Honorar oder der freie und erklärte Wille von Auftraggebern und -nehmern bleiben bei der Beurteilung durch die DRV unberücksichtigt. Die Rechtsprechung der letzten Jahre, im Wesentlichen durch das BAG, ist stark einzelfallbezogen gewesen. Dabei hat sie sich nicht an verallgemeinernden Kriterien angelehnt, sondern im einzelnen Fall die Kriterien gewichtet und die Kompensation der Kriterien untereinander ins Kalkül gezogen. „Im Bereich der Kriterien schafft das neue Gesetz mehr Unklarheiten als es beantworten will. Für eine funktionierende Rechtsprechung hätte es dessen nicht bedurft“, meint BVBC-Vizepräsident Jörg Zeyßig.
Bereits seit Anfang September dieses Jahres ist der BVBC Mitglied im „Forum für den Einsatz flexibler Arbeit in Deutschland“ (FEFA). Zusammen mit anderen Verbänden und Unternehmen werden die Folgen der geplanten Gesetzesänderung diskutiert. In einem gemeinsamen Positionspapier fordert das FEFA nun „einfache Maßnahmen statt komplexer Regulierung“.
Kriterienkatalog schafft keine größere Rechtssicherheit
Im eingereichten Gesetzesentwurf konkretisiert das Arbeitsministerium acht Abgrenzungskriterien, die bei der Beurteilung des Arbeitsverhältnisses helfen sollen. Problematisch: Weder die Erfüllung noch das Nichtzutreffen einzelner oder mehrerer Kriterien führen automatisch zu eine klaren Aussage. Noch immer bedarf es einer wertenden Gesamtbetrachtung des Einzelfalls. Das heißt: Erst ein Statusfeststellungsverfahren bzw. Gerichtsurteil kann aufgrund der unklaren Gewichtung der Kriterien Rechtssicherheit schaffen.
„Der Gesetzgeber hat ausschließlich negativ formulierte Kriterien in den Referentenentwurf eingearbeitet, die definieren sollen, wann ein abhängiges Arbeitsverhältnis vorliegt. Wenn schon ein Kriterienkatalog angewendet werden soll, so wäre ein Positivkatalog sicherlich das bessere Mittel gewesen“, kritisiert Vizepräsident Zeyßig das vorliegende Papier. „Wird sich hieran nichts ändern, führt das zu keiner größeren Rechtssicherheit“, so Zeyßig weiter.
Weder Auftraggeber oder -nehmer noch deren Steuer- und Rechtsberater können ohne langwierige Prüfung seitens der DRV sicher beurteilen, ob es sich um echte Selbstständigkeit handelt. Sollte die DRV bei einem Statusfeststellungsverfahren zu dem Urteil kommen, dass eine abhängige Beschäftigung vorliegt, bestünde ab diesem Zeitpunkt ein Arbeitsverhältnis mit allen daraus resultierenden Rechten und Pflichten. Gegen eine solche Beurteilung können dann nur noch Rechtsmittel eingelegt werden.
Das neue Gesetz sieht demnach vor, eine Vermutungsregelung einzuführen, die bereits 1999 galt, aber nach kürzester Zeit wieder abgeschafft wurde. Sollte der Bundestag das Gesetz in seiner derzeitigen Ausarbeitung beschließen, könnte das bedeuten, dass viele Solo-Selbstständige künftig um ihre Selbstständigkeit bangen müssten.
Merkel bremst Nahles aus: Entwurf geht über Koalitionsvertrag hinaus
Eine Woche nachdem der Referentenentwurf dem Kanzleramt zuging, sprach sich Merkel beim Deutschen Arbeitgebertag in Berlin (24.11.2015) gegen ihn aus. Bei der Regulierung von Leiharbeit und Werkverträgen werde die Kanzlerin „wachen, dass wir über den Koalitionsvertrag nicht hinausgehen“. Es sei unstrittig, dass Nahles Entwurf einer solchen Prüfung nicht standhalten werde, so Merkel. Arbeitgeberpräsident Ingo Kramer bezeichnete die Ausarbeitungen zuvor in seiner Rede als „Bremsklotz“, die „ein kompletter Angriff auf unsere heutige arbeitsteilige Wirtschaft“ seien.
Das Arbeitsministerium gibt in seinem Entwurf an, „die wesentlich von der Rechtsprechung entwickelten Abgrenzungskriterien“ festgeschrieben zu haben. Nach BVBC-Vizepräsident Zeyßig ist jedoch klar, dass die geplanten Neuregelungen deutlich über den Stand der Rechtsprechung hinausgehen – und damit auch über die Vereinbarungen des Koalitionsvertrags.
Wie geht es weiter?
Merkels Äußerungen könnten dazu führen, dass der umstrittene Entwurf noch vor der Ressortabstimmung durch andere Ministerien vom Arbeitsministerium überarbeitet wird. Zeyßig hofft, dass vor allem der Kriterienkatalog maßgeblich überarbeitet oder ergänzt wird. Andernfalls müsste der Verband sich ernsthaft um seine selbstständigen Mitglieder sorgen. „Die Mitglieder unseres Verbands sind in zweifacher Weise gefährdet: zum einen durch die Neuerung des Gesetzes in ihrer eigenen Selbständigkeit, zum anderen durch die Vielzahl an Selbständigen, die unsere selbständigen Bilanzbuchhalter als Klienten haben. Wir sehen hier deutlich die Gefahr des Wegbrechens einer traditionellen Kundengruppe.“
Am 3. Dezember findet in der Heilig-Geist-Kapelle der Humboldt-Universität Berlin ein Diskussionsabend zum geplanten Gesetz statt. Neben Bundestagspolitikern, Vertretern der Rechtswissenschaft, Gewerkschaften und Arbeitgeberverbänden wird auch der BVBC durch Vizepräsident Jörg Zeyßig vertreten sein. Im Mittelpunkt steht die Frage, was es tatsächlich an Gesetzgebung braucht, um Rechtsmissbrauch bei Werkverträgen zu verhindern.
Jetzt Solidarität zeigen und Petition mitzeichnen
Das geplante Gesetz könnte negative Folgen für alle selbstständigen Bilanzbuchhalter und Controller haben. BVBC-Vizepräsident Jörg Zeyßig appelliert deshalb an alle BVBC-Mitglieder: „Zeigen Sie sich solidarisch mit Ihren Kollegen, auch wenn Sie nicht selbstständig sein sollten. Als Verband müssen wir uns breit gegen unfaire Rahmenbedingungen stellen. Unterzeichnen Sie also jetzt die Petition des Verbands der Gründer und Selbstständigen Deutschland (VGSD) und machen Sie Freunde, Bekannte und Kollegen auf das Thema aufmerksam. Insbesondere für Solo-Selbstständige ist es jetzt wichtig, sich mit dem geplanten Gesetz und möglichen Auswirkungen auseinanderzusetzen.“