Kommentar: BVBC-Geschäftsführer Markus Kessel zum EU-Vertragsverletzungsverfahren
Vorweg: Wenn im Folgenden von den Steuerberater*innen gesprochen wird, sind nicht die vielen Kanzleiinhaber*innen direkt gemeint, sondern die Ewiggestrigen unter den Funktionär*innen der vertretenden Institutionen – der Steuerberaterkammern und des Steuerberaterverbandes. Aus Erfahrung wissen wir nur zu gut, dass die einzelnen Steuerberater*innen ausdrücklich gerne mit selbstständigen Bilanzbuchhaltern*innen zusammenarbeiten, deren Expertise zu schätzen wissen und sich unterm Strich auch nicht gegen eine Befugniserweiterung stellen.
Meine Bitte, wenn Sie zu dieser Gruppe gehören: Erheben Sie Ihre Stimme und folgen Sie nicht schweigend den Ansichten von Kammer und Verband!
Die jüngste Stellungnahme der Interessenvertretungen der Steuerberater*innen im Rahmen des Vertragsverletzungsverfahrens der EU-Kommission gegen die Bundesrepublik Deutschland aufgrund der im Steuerberatungsgesetz verankerten Vorbehaltsaufgaben lassen tief blicken und komplettieren ein skandalöses Gesamtbild zum Schaden der Deutschen Wirtschaft.
Doch lassen Sie mich Ihnen einen kurzen Rückblick geben: Am 19. Juli 2018 eröffnete die EU-Kommission mit einem Aufforderungsschreiben an Heiko Maas das Vertragsverletzungsverfahren Nr. 2018/2171 der EU-Kommission gegen die Bundesrepublik Deutschland (vgl. BVBC-News vom 17.10.2018). Der zentrale Vorwurf richtet sich gegen die reglementierten Berufe in Deutschland. Besonders im Fokus sieht die EU-Kommission das deutsche Steuerberatungsgesetz (StBerG), welches in seinen Regelungen zu den Vorbehaltsaufgaben inkohärent und unverhältnismäßig ist. Insbesondere wegen der in § 4 StBerG aufgeführten Ausnahmen sind die Beschränkungen nach Ansicht der Kommission weder mit Artikel 59 Abs. 3 der Richtlinie 2005/36/EG noch mit Artikel 49 AEUV vereinbar.
Für den BVBC war dies eine erfreuliche, aber keinesfalls überraschende Entwicklung. Auf nationaler Ebene kämpfen wir schließlich bereits seit Jahrzehnten für eine Deregulierung des StBerG. Umso erfreulicher war es, endlich eine gewisse Rückendeckung in den eigenen Ansichten zu erfahren. Schien man aus Sicht der Steuerberater*innen, den Finanzbehörden und den – über alles wachenden – Finanzministerien die nationalen Bestrebungen nach einer umfangreichen neunten Änderung des Steuerberatungsgesetzes im Griff zu haben und abwehren zu können, wurde nun durch die Einleitung des Vertragsverletzungsverfahren der Druck um ein Vielfaches größer und das Eis dünner.
So verkündete auch Harald Elster, Präsident des Deutschen Steuerberaterverbands (DStV) auf dem Steuerberater-Tag 2018, es käme mit der Einleitung des Vertragsverletzungsverfahrens „ganz dicke‘. Die EU-Kommission stelle damit die Vorbehaltsaufgaben des steuerberatenden Berufs grundsätzlich in Frage. Dagegen müsse man sich argumentativ mit allen Mitteln zur Wehr setzen, bevor Europa dem Kern der steuerberatenden Tätigkeit und damit den Bürgern massiven Schaden zufüge. Um weiteres Unheil aus Brüssel zu stoppen, kündigte Elster an, die Präsenz des DStV dort zu verstärken.
Gesagt, getan – es wurden die großen Geschütze aufgefahren: Im Januar 2019 erschien ein bereits im September 2018 erstelltes knapp zweihundertseitiges Gutachten im Auftrag der Bundessteuerberaterkammer. „Die Vorbehaltsaufgaben der steuerberatenden Berufe auf dem Prüfstand des Verfassungs- und Unionsrechts“.
Auffällig: Gleich an mehreren Stellen versucht das Gutachten vorherige Veröffentlichungen des BVBC sowie insbesondere ein vom Verband beauftragtes Gutachten aus dem Jahr 2015 („Die Verfassungswidrigkeit des Verbots des Anfertigens der Umsatzsteuervoranmeldung durch Buchhalter, geprüfte Bilanzbuchhalter und Steuerfachwirte“) konkret zu widerlegen.
Versuch einer Machtdemonstration oder pure Verzweiflung?
Als nächstes kam es zu einem strategisch wichtigen Kunstgriff, der im stillen Kämmerlein und unter dem Radar mit dem Bundesfinanzministerium (BMF) eingefädelt wurde: Der Steuerberater als Organ der Steuerrechtspflege. Dazu Alexandra Buba in ihrem Beitrag „Nun ade, du mein lieb Vorbehalt“, erschienen im Juni 2019 in der Fachzeitschrift „KP Kanzleiführung professionell“:
„Mehr als nur in unmittelbarem zeitlichen Zusammenhang dürfte freilich die Initiative der BStBK stehen, den Steuerberater gesetzlich zum ‚Organ der Steuerrechtspflege‘ zu machen, so wie dies bereits schon in der Satzung der BStBK (§ 1 Abs. 1 BOStB) der Fall ist. Dieses Ansinnen, das das Gremium seit einer Weile verfolgt, sei nunmehr mit dem BMF abgestimmt, und auch die Bundesländer hätten das Vorhaben positiv beschieden, heißt es aus der Kammer. Erwartet wird, dass der neue – nun auch formal so fixierte – Status des Steuerberaters mit der nächsten Änderung des Steuerberatungsgesetzes beschlossen werden wird.“
Das „Organ der Steuerrechtspflege“ wurde schließlich am 18. Dezember 2019 im Steuerberatungsgesetz (§ 32 Abs. 2 Satz 1 StBerG) verankert.
Trotz zahlreicher Bestrebungen und Nachfragen des BVBC drang über die weitere Kommunikation und die Inhalte des Vertragsverletzungsverfahrens nicht so recht etwas nach außen, obwohl die Stellungnahme der Bundesrepublik bereits am 19. Oktober 2018 erfolgte. Man wolle keine Auskünfte zu einem laufenden Verfahren erteilen. Eine transparente und offene Diskussion in dieser Sache mit allen Betroffenen, u.a. mit dem BVBC, wurde so aktiv vermieden.
Welches abgekartete Spiel aber in den letzten zwei Jahren gespielt wurde, macht ein Informationsschreiben des DStV nun offensichtlich. Dort heißt es u.a.:
„Für die Dauer der deutschen EU-Ratspräsidentschaft hatten EU-Kommission und Bundesfinanzministerium bezüglich des anhängigen Vertragsverletzungsverfahrens gegen Deutschland wegen der Vorbehaltsaufgaben der Steuerberater eine einstweilige Waffenruhe vereinbart. Diese Atempause ist zu Jahresbeginn abgelaufen.“
Will man dieser Darstellung Glauben schenken, wäre alleine diese Tatsache ein politischer Skandal. Soll das etwa heißen, dass die zu klärende Vertragsverletzung je nach Nationalität der Ratspräsidentschaft an Bedeutung verliert oder gewinnt? Wie kann es sein, dass das Bundesfinanzministerium den kurzen Dienstweg ausnutzt, um sich Zeit zu verschaffen? Zeit, die ausschließlich dazu genutzt wird, um sich in perfekter Vetternwirtschaft und Geheimhaltung mit den Steuerberaterinstitutionen auf eine Strategie und Argumentationslinie zu einigen.
Die nun wieder aufgenommenen vorgerichtlichen Verhandlungen offenbaren jedoch auch den Kern des Verfahrens – nämlich die Umsatzsteuervoranmeldung als Vorbehaltsaufgabe der Steuerberater*innen.
EU stützt Forderungen und Argumente des BVBC: Umsatzsteuervoranmeldung ist keine Vorbehaltsaufgabe
Der BVBC hatte sich nach dem Bekanntwerden des Vertragsverletzungsverfahrens mehrfach mit Eingaben und Stellungsnahmen gegenüber der EU eingebracht und parallel Gespräche mit dem Bundesfinanzministerium geführt, um auch auf nationaler Ebene eine Neuregelung des Steuerberatungsgesetzes weiter zu forcieren. Das Gesamtbild, das nun Stück für Stück ersichtlich wird, zeigt, dass die seitens des Ministeriums auf die nationale Sachlage beschränkten Gespräche und Diskussionen, reine Fassade waren. Im Hintergrund wurde mit Hochdruck die gesamte Zeit an der Abwehr des Vertragsverletzungsverfahrens zu Gunsten der Steuerberater*innen gearbeitet. Ich nenne das Klientelpolitik auf höchstem Niveau.
Das Resultat der Hörigkeit des Finanzministeriums gegenüber den Steuerberater*innen kann man in der vermutlich letzten Stellungnahme an die EU-Kommission seitens der Bundessteuerberaterkammer und des Steuerberaterverbandes vom 28. Januar 2021 lesen. Warum es sich dabei wahrscheinlich um die letzte Eingabe handelt: DStV-Präsident Harald Elster hat bereits verlautbaren lassen, dass es besser sein wird, den Streit vor dem europäischen Gerichtshof weiterzuführen, sollte die EU-Kommission von Ihren Ansichten nicht zurücktreten.
Die inhaltliche Wertung der Stellungnahme sollte nun auch dem Letzten die Augen öffnen: Das Finanzministerium schützt zum Schaden der kleinen und mittelständischen Unternehmen in Deutschland die Privilegien der Steuerberater*innen. Das wird auch ganz aktuell auch bei der Beantragung der Corona-Hilfen offensichtlich. Denn auch hier werden Bilanzbuchhalter*innen nicht als antragsberechtigte Instanzen aufgeführt und dem BVBC als vertretenden Berufsverband werden sämtliche Rückmeldungen gegenüber seinen Forderungen verweigert. Die wirtschaftlichen Folgen der Corona-Pandemie werden dabei offensichtlich bedenkenlos in Kauf genommen.
Die deutschen Steuerberater*innen als Organ der Steuerrechtspflege und die damit verbundene Verantwortung für Wirtschaft und Gemeinwohl werden in der letztgenannten Stellungnahme als eines der Hauptargumente angeführt. Zur Erinnerung: Dieser Status wurde erst nach der Eröffnung des Vertragsverletzungsverfahrens durch das Bundesfinanzministerium befürwortet und verabschiedet.
Bereits die Einleitung der Stellungnahme verärgert mich persönlich:
„Sehr geehrte Frau Präsidentin, während die Gesundheitsberufe in Europa derzeit aufopferungsvoll um Leben und Gesundheit vieler Bürgerinnen und Bürger ringen, setzen sich die Steuerberaterinnen und Steuerberater in Deutschland mit demselben Engagement dafür ein, die negativen Folgen für die schwer gebeutelte mittelständische Wirtschaft abzuwenden.“
Im Gegensatz zu anderen europäischen Staaten hat der deutsche Gesetzgeber die Steuerberater als gesetzliche Compliance-Instanz fest in das Corona-Konjunkturprogramm eingebunden. Die Antragstellung auf staatliche Überbrückungshilfen für Gastronomen, Einzelhändler und viele andere Unternehmen erfolgt dadurch ganz überwiegend durch die Steuerberater.“
Die Wahrheit ist, dass das Finanzministerium alle Hilfeangebote und Appelle des BVBC – Selbstständige Bilanzbuchhalter*innen als antragsberechtigte Instanzen für die Corona-Überbrückungshilfen zuzulassen – ignoriert. Die Forderungen, die wir gemeinsam mit dem Verband der Mittelständischen Wirtschaft (BVMW) eingebracht haben, werden noch nicht einmal diskutiert.
Die Ignoranz sorgt dafür, dass die Steuerberater*innen an Arbeit ersticken, der Antragsprozess durch bewusste Verknappung verlangsamt wird und die Lage für die hilfesuchenden Unternehmen mehr als existenzbedrohend ist. Und wofür? Damit sich am Ende Behörden und Steuerberater*innen im Schulterschluss gegenseitig für ihre Systemrelevanz und ihren aufopferungsvollen Dienst am Gemeinwohl beglückwünschen können?
Das Finanzministerium nimmt dabei billigend in Kauf, dass die Unternehmenslandschaft in Deutschland nach der Pandemie zu zerbrechen droht. Obwohl man gewusst hat, dass man es besser hätte regeln können. Ich möchte nicht so vermessen sein, dass dies alles vorsätzlich so gehandhabt wird, um langfristig auch seitens der EU-Kommission in Ruhe gelassen zu werden, aber es erscheint als einkalkulierter Nebeneffekt der in den Gesprächen zwischen Ministerium und Steuerberaterkammer und -verband nicht unerwähnt blieb.
Warum wird die Umsatzsteuervoranmeldung zu solch einem Politikum?
Doch trotz aller vermeintlichen Klarheit über die Schachzüge, geschickt eingefädelten Schutzmechanismen des Gesetzgebers zu Gunsten der Steuerberater*innen und der an den Tag gelegten Theatralik gegenüber der EU-Kommission, bleibt bei mir die Frage nach dem „Warum“. Wie kann der Erhalt der Umsatzsteuervoranmeldung als Vorbehaltsaufgabe zu einem solchem Politikum werden?
Wenn man aber im Hinterkopf hat, dass die Durchschnittskanzlei in Deutschland mehr als ein Viertel ihres Umsatzes im Rechnungswesen erwirtschaftet, ist es verständlich, dass die Lobby der Steuerberater*innen alles zum Erhalt dieses Standards initiieren wird. Solange Finanzministerium und Gerichte die sachlichen Argumente regelmäßig vom Tisch wischen – der eine kratzt dem anderen kein Auge aus – wird das vermutlich auch weiterhin funktionieren.
Aus der Praxis heraus bleibt für mich dann aber nur ein Fazit: Verbietet den selbstständigen Bilanzbuchhalter*innen das Verbuchen der laufenden Geschäftsvorfälle – was wie das Bundesverfassungsgericht bereits 1980 feststellte, verfassungswidrig wäre – oder erlaubt die Erstellung und Abgabe der Umsatzsteuervoranmeldung. Alles andere ist inkohärent und unverhältnismäßig – und ich danke der EU-Kommission, dass sie es genauso sieht.
Der BVBC hat am 12. Februar eine Stellungnahme an die EU-Kommission versandt, die von zahlreichen Partnerverbänden mitgezeichnet wurde. Erfahren Sie hier mehr dazu.