Interview mit BVBC-Ehrenbeirat Professor Dr. Horst Walter Endriss über Herausforderungen der Bilanzbuchhalterprüfung
Seit 2017 hat der BVBC einen zweiten Ehrenbeirat neben Dr. K. Jan Schiffer: Professor Dr. Horst Walter Endriss, Sohn des Gründers der Steuer-Fachschule Dr. Endriss, deren ehemaliger Leiter sowie maßgeblicher Iniator für die Gründung des BVBC vor 42 Jahren. Seit Jahrzehnten setzt sich der studierte Steuerberater und Wirtschaftsprüfer für die Belange von Bilanzbuchhaltern und angehenden Absolventen ein. Im Interview mit Kenan Häberle, Referent für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit (BVBC), verrät er, wie zufrieden er mit der aktuellen Fortbildungssituation ist und was er von der neuen Prüfungsverordnung hält.Kenan
Häberle: Herr Professor Dr. Endriss, mit der Bilanzbuchhalterprüfung kennen Sie sich wie kaum ein anderer aus. Die Fortbildung gehört deutschlandweit zu den angesehensten, gleichzeitig aber auch schwierigsten – das zeigen die vergleichsweise hohen Durchfallquoten. Woran liegt das Ihrer Meinung nach?
Prof. Dr. Horst Walter Endriss: Das Problem ist ja gerade, dass es überhaupt keine verlässlichen Statistiken gibt. Vom Deutschen Industrie- und Handelskammertag (DIHK) ist zwar zu erfahren, wie viele Klausuren an die Kammern pro Prüfungszeitraum verschickt werden, da jedoch immer etwas mehr Exemplare versendet werden als letztlich tatsächlich gebraucht, lassen sich die Zahlen bloß schätzen. Dass man nicht weiß, wie viele Teilnehmer an den Prüfungen letztlich teilnehmen und wie viele davon im ersten, zweiten oder dritten Versuch Erfolg haben, ist ein Skandal.
Die letzte umfangreichere Statistik des DIHK liegt mir aus dem Jahr 2014 vor. 59 von 79 Kammern meldeten die Ergebnisse der schriftlichen Prüfungsergebnisse der Bilanzbuchhalterprüfung. Im Fach Steuerrecht fielen 48,3 Prozent aller Teilnehmer durch. Für die anderen Fächer betrugen die Durchfallquoten zwischen 24,1 und 41,3 Prozent. Im besten Fall hätten alle, die das Fach Steuerrecht bestanden haben, also 51,7 Prozent, auch alle anderen Klausuren bestanden. Das ist jedoch unwahrscheinlich. Rechne ich nun hoch, dass ein gewisser Anteil dieser Teilnehmer in den anderen Fächern durchfiel, erhalte ich Durchfallquoten, die zwischen 77 und 87 Prozent für die schriftliche Prüfung liegen. Ziehe ich davon 20 Prozent ab, die durch die mündliche Prüfung gefallen sind (wie etwa 2012), erhöht sich diese Durchfallquote auf 82 bis 90 Prozent.
Dass hier etwas nicht richtig läuft, zeigt auch ein Fall, bei dem zwei Prüfungsausschüsse an einem Standort zu gänzlich unterschiedlichen Ergebnissen kamen. Während einer eine Durchfallquote von 40 Prozent verzeichnete, lag diese bei dem anderen bei rund 90 Prozent – bei derselben Prüfung. Das wurde nie öffentlich diskutiert, bekräftigt aber, wie wichtig transparente Zahlen sind, um mögliche Missstände zu verhindern.
„Korrekturen erfolgen häufig schablonenhaft.“
Häberle: Was vermuten Sie, weshalb so viele Teilnehmer die Prüfung nicht bestehen?Endriss: Das hat meines Erachtens vor allem drei Ursachen:
- Die Aufgaben sind nicht gut, hier könnte viel verbessert werden. Würden Fehler in der Aufgabenstellung, wie ich sie immer wieder aufdecke, von den Kammern erkannt und offengelegt, könnten diese zumindest im Nachhinein bei der Korrektur noch berücksichtigt werden.
- Korrekturen erfolgen häufig schablonenhaft, indem man sich fast ausschließlich an den Lösungshinweisen orientiert. Folgefehler werden nicht als solche behandelt, alternative Lösungswege oft nicht erkannt. Manchmal sind selbst die vorgegebenen Lösungswege nicht richtig.
- Die Kammern haben zu wenig qualifizierte Prüfer. Das macht sich vor allem bei den Prüfungen nach neuer Verordnung bemerkbar, die den Prüfern vertiefte Kenntnisse gleich in mehreren Bereichen abverlangen.
Häberle: Haben Sie Verbesserungsvorschläge?
Endriss: Ich habe zunächst einmal vollstes Verständnis dafür, dass die Prüfer nicht in allen Teilbereichen über besondere Kenntnisse verfügen, auch ich könnte nicht alle Fächer korrigieren. Deswegen werden an der Steuer-Fachschule, an der ich unterrichte, einzelne Teile der Klausuren an unterschiedliche Prüfer geschickt. Das könnten die Kammern ähnlich machen – das ginge jedoch mit einem deutlich höheren organisatorischen Aufwand einher. Eine andere Maßnahme könnten Multiple-Choice-Aufgaben sein. Erfahrungswerte zeigen, dass Teilnehmer so – etwa durch Raten – nicht mehr Punkte als bei freier Aufgabenstellung erzielen. Für komplexere Fragestellungen könnte man Multiple-Choice-Aufgaben auch mit Freitext-Feldern für Begründungen kombinieren. Die Korrektur würde so erheblich vereinfacht und fiele gerechter aus. Das ganze System gehört professionalisiert, indem das Prüfwesen zentralisiert wird und hauptamtliche Prüfer eingesetzt werden. So könnte eine einheitliche Qualität in der Korrektur der Prüfungen am ehesten gewährleistet werden und einige Kammern stünden nicht mehr vor dem Problem, nicht genügend qualifizierte Prüfer zu finden.
Häberle: Am 01. Januar 2016 trat eine neue Verordnung für die IHK-Bilanzbuchhalterprüfung in Kraft. Nach Übergangsfristen wird sie ab dem 01. August 2019 für alle Prüfungen verbindlich. Statt sieben Klausuren sieht die neue Prüfungsverordnung u.a. nur noch drei Klausuren für die schriftliche Prüfung vor. Die Aufgaben sollen praxisnäher sein und sich an einer umfassenden betrieblichen Situation orientieren. Was halten Sie von den Änderungen?
Endriss: Die neue Verordnung finde ich nicht gut, was daraus wird, müssen wir abwarten – vielleicht verbessern sich die Bestehensquoten. Die bereichsübergreifenden Aufgabenstellungen sind jedoch nicht nur für die Teilnehmer, sondern auch für die Prüfer komplexer. Das führt dazu, dass faire Korrekturen weiter erschwert werden und sich das Problem, zu wenig qualifizierte Prüfer zu finden, verschärft.
„Wenn ich aufhören würde, mich für sie einzusetzen, würde ich wissen, dass es ab morgen nicht besser wird.“
Häberle: Ihr Einsatz für die Nachwuchskräfte geht so weit, dass Sie Prüfungsteilnehmer unterstützen, die der Überzeugung sind, dass Ihre Prüfung nicht richtig bewertet wurde. Wie können Sie in solchen Fällen den Betroffenen helfen?
Endriss: Für die Prüfungsteilnehmer ist es schwer, einzuschätzen, ob sie vielleicht den ein oder anderen Punkt hätten mehr erhalten sollen, der letztlich über Bestehen oder Durchfallen entscheidet. Viele, die nach der Prüfung jedoch kein schlechtes Gefühl hatten und dennoch nicht bestanden haben, oder Teilnehmer mit alternativen Lösungswegen, kommen auf mich zu. Wichtig ist dann, dass sie eine Kopie ihrer geschriebenen Prüfungsarbeiten von der IHK anfordern. Allein das stößt jedoch bei manchen Kammern auf Widerstand, dabei bekräftigte bereits 1978 der Bayerische Verwaltungsgerichtshof, dass Prüfungsteilnehmern eben dieses Recht zusteht. Wird ihnen dieses verweigert, ist es ihnen kaum möglich, die geschriebenen Prüfungsarbeiten ohne helfende Literatur zu beurteilen. Andere Kammern, die Prüfungsteilnehmern Kopien ermöglichen, setzen dafür teilweise überhöhte Gebühren an – das ist nicht etwa kostendeckend, das soll vermutlich Widersprüche vermeiden.
Wenn sich die Prüfungsteilnehmer sicher sind, dass ihre Prüfung nicht korrekt bewertet wurde, rate ich ihnen, Widerspruch einzulegen – dieser kann aufgrund der einmonatigen Frist auch vorerst formlos erfolgen. In den vergangenen zwei bis drei Jahren habe ich etwa 25 Widersprüche aktiv begleitet – bis auf zwei waren alle erfolgreich. Es kam allerdings nie zu einem Gerichtsurteil. Die Kammern erkannten ihre geringen Erfolgsaussichten, lenkten entsprechend ein und übernahmen entstandene Kosten. Ein gegen sie gerichtetes Urteil soll offensichtlich in jedem Fall vermieden werden. In den zwei Fällen, die nicht positiv ausgingen, zogen die Prüfungsteilnehmer ihre Klage zurück – sie konnten dem Druck nicht Stand halten. In den vergangenen Jahren unterstützte ich einige Prüfungsteilnehmer – gegenüber den Tausenden, die ungerecht behandelt werden, ist das jedoch ein Tropfen auf den heißen Stein.
Häberle: 2008 erhielten Sie das Bundesverdienstkreuz – für Ihr Engagement in der regionalen Jugendarbeit und im Sport Ihrer Heimatgemeinde Remagen sowie an der TU Dresden, an der Sie seit 1993 lehren, insbesondere aber für Ihren Einsatz für die Berufsgruppe der Bilanzbuchhalter. Sie selbst sind jedoch promovierter Diplom-Kaufmann, geprüfter Steuerberater sowie Wirtschaftsprüfer – wie kommt es, dass Sie sich gerade für angehende Bilanzbuchhalter so stark engagieren?
Endriss: Weil ich das Unrecht nicht mit ansehen möchte. Ich will nicht, dass Leute ungerecht behandelt werden. Viele Prüfungsteilnehmer wissen nicht alles, sie wissen aber vieles. Wenn sie die Prüfung dennoch nicht bestehen, dann ärgert mich das maßlos! Wenn ich aufhören würde, mich für sie einzusetzen, würde ich wissen, dass es ab morgen nicht besser wird. Im Gegenteil: Es würde schlechter. Deshalb gilt: So lange ich kann, so lange mein Verstand dazu in der Lage ist, werde ich Probleme bei der Bilanzbuchhalterprüfung beanstanden und mich darum bemühen, dass es besser wird.